Vossi weckt den Weihnachtsmann

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Vossi weckt den Weihnachtsmann

Mit seiner über zwei Meter langen roten Bommelrodelmütze weckt Uwe Voss den Weihnachtsmann.Fotos: hfr

Am Sonnabend vor dem ersten Advent setze ich meine Bommeltroddelmütze auf und wecke in Bad Segeberg den Weihnachtsmann. Den freundlichen Alten darf nur ich mit den Kindern wecken, weil ich als Einziger in unserer Gegend die zwei Meter lange rote Bommeltroddelmütze besitze. Das weiß in Bad Segeberg und Umgebung jedes Kind. Die außergewöhnliche Kopfbedeckung habe ich im hohen Norden erworben. Die schwedischen Langläufer nutzen sie gleichzeitig als Mütze und Schal. In Bad Segeberg hat sie eine hohe weihnachtliche Bedeutung. Stellen Sie sich vor: Morgen ist der erste Advent.

Heute ist wieder der große Tag. Zudem habe ich in diesem Jahr genau zu meinem himmlischen Weckdienst Geburtstag. Es ist nur ein »krummes Wiegenfest«. Wenn man über siebzig ist, verheimlicht man das gern und es interessiert hoffentlich niemanden.

»Still und starr ruht der See«, kommt mir bei meinem kleinen Abstecher an den Segeberger See in den Sinn und ich summe »Leise rieselt der Schnee« aus der Kinderzeit vor mich hin – mit Blick auf das grauschimmernde Gewässer. Die Fachwerkhäuser in Winklers Gang, der »Alte Speicher« und das kleinstädtische Alt-Segeberger Bürgerhaus erinnern mich an meine Heimatstadt Hildesheim und die Bescherungen in der Familie. Erinnerungen an den hölzernen Kaufmannsladen werden wach, den wir drei Kinder alle Jahre wieder unter dem Christbaum fanden – in einer anderen Farbe gestrichen.

Gegenüber vom Rathaus locken mich die »Bürgerstuben« zur Einkehr.

»Vielleicht liegt es daran, dass man von draußen meint, dass in euren Fenstern das Licht wärmer scheint.« Inga und Wolf singen es so in dem Lied »Gute Nacht Freunde«. Mir kommt die Musik in den Kopf, ich muss lächeln. Ich kann nicht anders. Ich bin Musiker. Erinnerungen sind bei mir mit Liedern verbunden. Es ist die Erinnerung an die geselligen und gemütlichen Abende mit den Freunden aus der Karl-May-Stadt, die mich so freundlich als »Second Hand Bad Segeberger«, in ihren Kreis aufgenommen haben, obwohl ich hier nicht wohne. »In Zukunft treffen wir uns öfter«, nehme ich mir wie einen verfrühten Neujahrsvorsatz fest vor.

Meine Familie erwartet mich in einem Café am Markt. »Opa, Opa« stürmt mir mein vierjähriger Enkel Björn schon am Eingang entgegen und umklammert meine Beine. Er gibt mir seinen Weihnachtskeks. Es bleibt das schönste Weihnachtsgeschenk an diesem Christfest. Die Freude in den Gesichtern der anderen, die von Herzen kommenden Glückwünsche zum Geburtstag und der Anblick unserer nicht mal ein Jahr alten Bente erfüllen mich mit Wärme. So wie Bente muss das Christuskind ausgesehen haben. Da bin ich mir ganz sicher.

Es ist Zeit. Ich muss raus auf den noch dunklen Marktplatz. Mein Weg führt durch den Geruch von gebrannten Mandeln und Weihnachtspunsch zum schönsten Arbeitsplatz der Welt. Der große Feuerwehrwagen ist eingetroffen. Das ist der Augenblick, wo die erwachsenen Begleiter die Kleinsten auf ihre Schultern nehmen. Der große Wagen von der Freiwilligen Feuerwehr mit Blaulicht und Drehleiter ist nicht nur bei den Jungs der Hit.

Ich gehe zum Korb der Feuerwehr-Drehleiter mitten auf dem Marktplatz. Früher bin ich über den Wagen und die waagerecht aufliegende Leiter zum Korb geklettert. Die Kameraden der Feuerwehr haben seit Jahren ein Einsehen und Respekt vor meinem Alter. Sie lassen den Korb auf den Boden des Marktplatzes runter. »Danke.« Eifrige Helfer schmücken den Korb in rot-grünen Weihnachtsfarben.

Die Kinder beneiden mich. Björn darf einmal in den geschmückten Weihnachtskorb klettern. Für meinen kleinen Enkel bin ich ab diesen Augenblick für die nächsten Wochen ein Held. Das ist nicht so leicht, weil der andere Opa Handwerker ist und ihn manchmal zum Angeln mitnimmt. Schwer da mitzuhalten.

Der Marktplatz hat sich inzwischen mit einigen Hundert erwartungsvollen Kindern und ihren erwachsenen Begleitern gefüllt.

Ich bin über die Mini-Leiter im Korb angekommen. Gleich geht es nach oben.

»Nicht so schnell Lana«, bitte ich die Feuerwehrfrau, die neben mir den Korb an den Reglern steuert.

Sie sagt nur »Anschnallen!«, und schon sind wir dreißig Meter hoch über den Dächern von Bad Segeberg. Ich weiß nicht, ob mir bei der Schussfahrt nach oben nur die Knie wackeln oder ob mir die Beine zittern. Zum Glück wird mir nicht übel.  Das geht vorbei und der Blick über die Kinder, die Marienkirche und die Stadt entschädigen mich.

Ich bin mit Frau Holle fast auf Augenhöhe und gemeinsam mit den Kindern bitte ich sie und die Goldmarie um Schnee zum Weihnachtsfest.

»Eine halbe Stunde müssen wir uns gedulden, bevor wir den Weihnachtsmann wecken dürfen. Das haben mir seine Wichtel gesagt,» erkläre ich den Kindern.

Wir nutzen die Zeit um das Weihnachtsgedicht »Advent, Advent, ein Lichtlein brennt« einzuüben. Die erste Strophe von »Oh Tannenbaum« singen wir als Generalprobe. Die Eltern und Großeltern stimmen kräftig mit ein. Wenn der Weihnachtsmann wach ist, wollen wir ihn mit dem Lied und dem Gedicht überraschen.

Wir sind fertig. Es könnte losgehen. Aber es sind zehn Minuten übrig. Wir üben dreimal die erste Strophe von »Schneeflöckchen, Weißröckchen«.

Jetzt aber: »Weihnachtsmann aufstehn!« Der traditionelle Bad Segeberger Weihnachtsmann-Weckruf hallt über die Kreisstadt, von allen Kindern in ohrenbetäubender Lautstärke gerufen.

Das Ritual wird mehrfach wiederholt.

Dann erscheint der Langersehnte im Scheinwerferlicht, ganz oben im Dachfenster vom »Rehder Haus«. Er wird mit viel Jubel und Beifall empfangen.

Aber was ist das? Der Rauschebart hat im Halbschlaf seine Mütze vergessen.

Die Kinder merken das sofort. Einige, weil das jedes Jahr passiert und sie nicht zum ersten Mal dabei sind. Ein wildes Durcheinander von Kinderstimmen schallt zu uns herauf.

Zum Glück finden die eifrigen Weihnachts-Wichtel die Mütze sehr schnell.

Dann steigt der Weihnachtsmann höchstselbst zu Lana und mir in den Korb.

»HoHoHo«, sagt er mit tiefer Stimme.

»Anschnallen!«,  antwortet Lana ihrem weltberühmten Passagier.

 


»HoHoHo« sagt der Weihnachtsmann auch zu den Kindern und dann: »Liebe Kinder. Das haben mir die Wichtel verraten: Unser Vossi hat heute Geburtstag.«

Klatschen und Jubel von den Kindern. Dann stimmt der Weihnachtsmann »Happy Birthday« an. Alle, ich glaube wirklich alle, singen mit. Der Weihnachtsmann muss kurz ohne mich weitermachen. Ich habe Tränen in den Augen und meine Stimme stockt vor Rührung.

Nach unseren Weihnachtsliedern und Gedichten mit »Schneeflöckchen, Weißröckchen« als Zugabe kommen wir zu einem weiteren Höhepunkt. Das Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung ist fester Bestandteil des Programms. Der Weihnachtsmann nimmt ein Elektrokabel und hält Steckdose und Stecker aneinander. Hunderte von Kindern zählen »10 – 9 – 8 – 7 – 6 – 5 – 4 – 3 – 2 … 1 - Licht« – und alles bleibt dunkel. Oha!

»Liebe Kinder, da steht im Weihnachtsland bei Lappland ein Elch auf dem Kabel. Wir machen das nochmal.«

Die Kinder zählen jetzt so laut, dass ich fast eine Föhnfrisur bekomme. Aber nichts passiert. Endlich – beim dritten Mal erstrahlt die Kalkbergstadt im Weihnachtslicht. Auch der große Tannenbaum auf dem Marktplatz leuchtet. Den Stein, der uns vom Herzen geplumpst ist, muss man in ganz Schleswig-Holstein gehört haben.

Was war passiert? – Der zuständige Elektrofachmann hatte fasziniert mitgesungen und mitgefiebert. Dabei hatte er einfach vergessen, rechtzeitig zum Stromschaltkasten zu gehen. Wir sahen das später als ein Kompliment für das Programm, den Weihnachtsmann und mich.

Als wir zum Abschluss »Alle Jahre wieder« singen, werden mir die Augen feucht.

Die freundliche Frau Beli gibt als Chefin der Schausteller nach dem Wecken für die Kinder Freifahrten auf dem Karussell und Zuckerwatte aus. Es bilden sich lange Schlangen. »Fröhliche Weihnacht überall!« klingt es aus den Lautsprecherboxen über den Markt. Blacky, so heißt der Weihnachtsmann als Mensch, hat sich umgezogen und wir gehen zum Glühweinstand. Auf unserem Weg sehen wir in strahlende Kinderaugen. Erwachsene nicken uns freundlich zu. Sie erkennen mich an der Bommeltroddelmütze. Blacky hat es ohne Kostüm schwerer mit dem Wiedererkennungswert. Ist auch gut so.

»Ich war schon als Kind hier. Jetzt mit meiner Tochter. Es ist immer das Schönste in der Vorweihnachtszeit«, spricht uns eine junge Mutter an, sie trägt eine rote Zipfelweihnachtsmütze und hat ein kleines Mädchen an der Hand.

»…Und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«

Am Glühweinzelt drängeln sich schon die Kollegen von der Technik. Wir sind im Laufe der Jahre Freunde geworden.

Weihnachten kann kommen. HoHoHo.

 


Die Geschichte ist ein Auszug aus dem Buch Backstage _Storys, das im kommenden Jahr im Kadera-Verlag erscheinen wird. Infos auf www.uwe-voss.de


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