100 Jahre alter Dielenfund erzählt Zeit(ungs)-Geschichte

Bad Segeberg (kf). Gemeinsam haben sich Hellen und Madeleine Wolter 2018 in Bad Segeberg ein altes Haus Am Kalkberg gekauft und es ein Jahr lang kernsaniert, bevor sie 2019 darin einzogen und die Arbeiten 2022 dann komplett beendeten.
Bei den Sanierungsarbeiten machten sie einen interessanten Fund: Unter uralten morschen Dielen in einem staubigen Zwischenboden fanden sie eine alte, vergilbte Zeitung, die sie sich einrahmten und als Bild an die Wand hingen. Darauf ist eine Werbeanzeige im Segeberger Haus- und Tageblatt vom Kaufhaus J. Rohwedder aus dem Jahr 1925 zu sehen, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Darauf wirbt der Inhaber des damaligen Textilgeschäftes mit einem großen Saison Ausverkauf am 1. Juli mit zehn Prozent Rabatt in bar, ähnlich dem heutigen Sommerschlussverkauf.
Das Kaufhaus J. Rohwedder befand sich in der Kurhausstraße 6, die damals noch Kieler Straße hieß. Heute ist an gleicher Stelle die Takko-Filiale ansässig.
Auch damals wurde dort schon Kleidung angeboten, ebenso wie Stoffe, Unterwäsche, Gardinen, Teppiche und Bettwäsche. Auch die Preise stammen aus einer anderen Zeit: Ein kompletter Herrenanzug für 12 Reichsmark (RM), ein Damenmantel ab 3 RM, ein Unterhemd für 48 Pfennig.
Doch zwischen den Zeilen liest man mehr als nur Preise: Der Kaufmann schreibt von der „großen Geldknappheit“, die ihn zu diesen Preisnachlässen bewege. „Noch nie hat ein Ausverkauf von derartigem Umfange mit derartig großen Preisnachlässen in meinem Hause stattgefunden, wie der diesjährige“, schreibt Rohwedder in der Anzeige.
Das Jahr 1925 war eine Zeit des Übergangs: Nach der Hyperinflation 1923 war die schlimmste Zeit geschafft, die Reichsmark hatte den Wert wieder stabilisiert. Deutschland trat in die Phase der sogenannten Goldenen Zwanziger ein – eine kurze Blütezeit von Kultur, Wirtschaft und Fortschritt. Konsum war wieder möglich, aber nur vorsichtig.
Rabatte waren schon damals ein gängiges Mittel, um Menschen zum Kaufen zu bewegen. Was bei Rohwedder heute fast dramatisch klingt, war dann am Ende doch nur der Sommer-Ausverkauf, den auf den folgenden Seiten der vergilbten alten Zeitung auch andere Geschäfte wie Gustav Andresen und Moritz
Steinhof oder das Hamburger-Engros-Lager in Neumünster bewarben. Ein Dachbodenfund der Zeit(ungs)-Geschichte erzählt.
Kaufhaus J. Rohwedder
Im Jahr 1895 verkaufte Kaufmann Heinrich Clausen ein Manufakturgeschäft in der heutigen Kurhausstraße 6 an Rohwedder. Anfang des 20. Jahrhunderts vernichtete ein Feuer das Gebäude. Wieder aufgebaut mit hohem Giebel diente es bis in die 80er Jahre als Textilhaus. Vor dem Kriege war Johannes Rohwedder der Eigentümer. Das Kaufhaus Rohwedder war bis Anfang der 1970er Jahre in dem Gebäude ansässig, zog dann neben die Volksbank. Letzter Betreiber war Jost Rohwedder, der den Betrieb bis Anfang der 1980er Jahre betrieb und dann Bad Segeberg verließ. Mit dem Neubau 1989 verschwand auch das ehemalige Rohwedder-Haus mit der markanten Fassade. kf